Zu den Zahlen der Rauschgiftkriminalität 2009

Das BKA und die Drogenbeauftragte Dyckmans haben letzte Woche Donnerstag einen Kurzbericht mit Zahlen der Rauschgiftkriminalität 2009 veröffentlicht. Was uns insbesondere interessiert, ist zum einen der Abschnitt zu den Cannabisanbau in Deutschland, zum anderen die Verwendung des Wortes Rauschgift. Der Artikel ist ein guter Moment, um dies etwas weiter darzulegen.

Zu den Hanfplantagen: 2009 sei wieder ein umfangreicher Anbau von Cannabis auf Außenflächen und in Gebäuden betrieben worden, wenngleich die Aufdeckung von Outdoor-Plantagen von 102 auf 67 (-34%) als auch der Indoor-Plantagen von 415 auf 342 (-18%) sank.

Bei den 67 gefundenen Outdoor-Plantagen handelte es sich um zwei Profiplantagen (Anbaukapazitäten ab 1.000 Pflanzen), neun Großplantagen (100-999 Pflanzen) und 56 Kleinplantagen (20-99 Pflanzen) mit insgesamt 5.324 sichergestellten Cannabispflanzen. Die 342 Indoor-Plantagen setzen sich aus 26 Profiplantagen, 98 Großplantagen und 218 Kleinplantagen mit insgesamt beschlagnahmten 91.310 Cannabispflanzen zusammen. Die meisten Outdoor-Plantagen wurden in Bayern (24%) registriert, die meisten Indoor-Plantagen in Nordrhein-Westfalen (22%). Hinsichtlich der Indoor-Profi- und Indoor-Großplantagen war der Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen besonders ausgeprägt (31%).

Über das Wort „Rauschgift“

Ich beziehe mich hierbei auf den Bericht von Eve&Rave „Von der Opiumhöhle zur Fixerstube – 100 Jahre Drogenprohibition“:

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts sorgten die Opiumhöhlen der chinesischen Einwanderer an der Westküste in den USA für Schlagzeilen in den Medien, gegen Endes des Jahrhunderts waren es die Fixerstuben in der Schweiz, in den Niederlanden und in einigen Bundesländern Deutschlands. Die Opiumhöhlen waren Anlaß für die Einführung einer restriktiven (einschränkenden) Betäubungsmittelpolitik, die Fixerstuben sind das Zeugnis des Scheiterns dieser Politik. Betroffen von der repressiven (unterdrückenden) Drogenpolitik waren jedoch nicht nur die Opiatkonsumenten, sondern mehrheitlich die Gras- und Haschischraucher (Cannabiskonsumenten). Die Entwicklung der Drogenrepression wird in diesem Artikel von den Anfängen über die explosionsartige mit Gewalt verbundenen Intensivierung zur Unterdrückung der 68er Generation bis hin in die Jetztzeit nachgezeichnet. [..]

In den USA wurde Cannabis als »Mörderkraut« und »Killerdroge« verfemt. Ein regelrecher Marihuanarassismus, der bis heute anhält, verbreitete sich in den USA. Anslinger berichtete im Kongreß, daß die »meisten Marihuanaraucher Neger, Mexikaner und Unterhaltungskünstler« seien. Er bezeichnete »ihre Musik, Blues, Jazz und Swing, als Folgeerscheinung des Marihuanagenusses« und behauptete, daß »diese satanische Musik und der Genuß von Marihuana weiße Frauen dazu bringe, sexuelle Beziehungen zu Negern zu wollen«.

Unter der Drogenrepression litt vor allem die schwarze und mexikanische Bevölkerungsschicht. Ihr traditionelles Kulturgut und ihre Lebensweise wurden durch die neue Gesetzgebung stark beeinträchtigt. Nach der Abschaffung der Sklaverei kam es durch die neue Drogengesetzgebung zu einer erneuten Diskriminierung nahezu aller Bevölkerungsschichten, die nicht aus Mitteleuropa, England oder Irland eingewandert waren.

Manipulierte Repression gegen Andersdenkende

Bis Mitte der sechziger Jahre blieb Europa weitgehend von der in Amerika wütenden Drogenrepression verschont, obwohl auch die meisten europäischen Staaten in den zwanziger Jahren Betäubungsmittelgesetze in Kraft gesetzt hatten. Als jedoch »Flower-Power« zum Leitmotiv einer weltumspannenden Jugendkultur wurde und überall immer mehr Hippies sich im Freien zu Musikfestivals trafen, dort Haschisch rauchten, sich Zauberpilze, Meskalin und LSD einverleibten und so Einblicke in andere Sphären gewannen, sahen konservative Politiker die traditionellen Werte der Gesellschaft gefährdet und riefen zum gnadenlosen Kampf gegen diese neue Jugendkultur auf.

Durch breit angelegte Kampagnen in den Massenmedien wurde die Bevölkerung mit den aberwitzigsten Horrormeldungen bezüglich einer gigantischen Drogenwelle, die auf Europa überschwappte, bombadiert, ein konkretes Wissen über Drogen ist durch diese Kampagnen jedoch kaum vermittelt worden.

Die Meldungen waren häufig suggestiv konzipiert und einseitig tendenziös ausgelegt, um in demagogischer Weise die Bevölkerung zu manipulieren. Selbst absolut harmlose Haschischraucher wurden häufig als „kriminelle Rauschgiftsüchtige“ diskreditiert. Im Juni 1972 war dann die gesellschaftliche Ausstoßungsreaktion schon so stark, daß 65% der Bevölkerung nicht einmal in der Nachbarschaft eines „Rauschgiftsüchtigen“ wohnen wollte.

Repression und Gewalt gegen die 68er Generation

In Deutschland fühlten sich die konservativen bürgerlichen Kräfte (Bourgeoisie) nicht nur durch die Hippies und anderen Drogenkonsumenten bedroht, sondern vor allem auch durch die politisch aktive Studentenbewegung. Die Studenten protestierten nicht nur gegen die skandalöse Überfüllung der viel zu kleinen Universitäten, sondern besonders auch gegen den zunehmenden Leerstand von Villen und Häusern, die raffgierige Spekulanten verfallen ließen um eine Abrißgenehmigung zu erzwingen um auf den Grundstücken bessere Renditeobjekte errichten zu können. Es herrschte jedoch große Wohnungsnot und so wurden viele dieser Häuser besetzt. Auch protestierten die Studenten gegen die Politik der USA, die in Vietnam einen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung mit Napalmbomben führte und gegen Präsident Nixon, den immer wieder aufs Neue den »War on Drugs« (Krieg gegen Drogen) proklamierte.

Die Staatsmacht in Deutschland reagierte heftig, nicht nur, daß die Drogenrepression Ende der sechziger Jahre explosionsartig zunahm, sondern Demonstranten wurden eingekesselt, mit Schlagstöcken traktiert und dutzendweise krankenhausreif geschlagen; hin und wieder fiel auch ein Schuß. So wurde anläßlich einer großen Demonstration vor der Deutschen Oper am 2. Juni 1967 gegen das Folter- und Terrorregime des Schahs von Persien, Mohammed Resa Pahlawi, als dieser mit seiner Frau, der Schabanu Farah Diba, die Zauberflöte besuchte, der 26jährige Student Benno Ohnesorg, Pazifist und Mitglied der evangelischen Studentengemeinde, ohne Not vorsätzlich und gezielt von dem 39jährigen Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras (Abteilung I, Politische Polizei) erschossen. Der Polizist Karl-Heinz Kurras wurde am 21. November 1967 vor Gericht (14. große Strafkammer beim Landgericht Moabit) freigesprochen, da er »überfordert und nervös gewesen sei,« und es »keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung oder eine beabsichtigte Körperverletzung durch einen gezielten Schuß« gegeben habe. Hingegen trat am 19. September 1967 der für den Polizeieinsatz verantwortliche Innensenator Wolfgang Büsch zurück. Büsch hatte die Konsequenz aus der Kritik an der ihm unterstellten Berliner Polizei gezogen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte zuvor das Verhalten der Polizei im Zusammenhang mit den Zwischenfällen beim Schah-Besuch beanstandet. Eine Woche später wurde Polizeipräsident Erich Dünsing frühzeitig in Pension geschickt, und vier weitere Tage später, am 26. September 1967, trat dann der regierende Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) mit dem gesamten Senat nach nur 287 Tagen Amtszeit zurück.

Daraufhin verstärkten zahlreiche deutschen Zeitungen, angeführt von der Springer-Presse, ihre geballte Hetzkampagne gegen die rebellierenden Studenten und alle Langhaarigen (Hippies) und vor allem gegen den Sprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), Rudi Dutschke, dessen Visage im Stil von Verbrecherphotos in Zeitungen publiziert wurde, ähnlich, wie es die CDU im Januar 2001 mit der Visage des Bundeskanzlers Schröder (SPD) für ein Wahlplakat vor hatte. Die Kampagne, die Rudi Dutschke zum »Volksfeind Nr. 1« erklärte, ließ den jungen rechtsradikalen Bauhilfsarbeiter Josef Bachmann am Gründonnerstag, den 11. April 1968, zur Tat schreiten. Er schoß dreimal mit seinem Trommelrevolver auf Rudi Dutschke und verletzte ihn lebensgefährlich. Elf Jahre später starb er an den Folgen des Attentats. Die drei Schüsse auf Rudi Dutschke lösten die »Oster-Unruhen« aus, durch die zwar der Vertrieb der Springer-Zeitungen nicht sonderlich blockiert, jedoch Tausende junge Menschen wegen Landesfriedensbruch kriminalisiert wurden. Nach diesem 11. April begann auch in den Kiffer-Kneipen die Diskussion über Dope und Revolution .

Todesschüsse gegen die »umherschweifenden Haschrebellen«

Das bemerkenswerteste Randergebnis dieser Zeit waren die »umherschweifenden Haschrebellen«, eine herzlich undogmatische Gegenposition zu den ideologisch getrimmten Linksintellektuellen. Gegründet wurde dieser heitere und stets chaotische Haufen von Georg von Rauch, Thomas (Tommy) Weißbecker und »Bommi« Baumann. Georg lieferte das Motto: »High sein, frei sein, Terror muß dabei sein«. Mit Terror hatten die Aktionen dieser Sponti-Vorläufer eigentlich wenig zu tun, glichen doch ihre zeit- und sozialkritische Vorstellungen eher den Darbietungen eines Kabarett, doch schon der Wahlspruch ließ Behörden und Öffentlichkeit hysterisch reagieren. Mit tödlichen Folgen, denn am 4. Dezember 1971 wurde der unbewaffnete Georg von Rauch bei einer Fahndungsaktion in Berlin-Schöneberg in der Eisenacher Straße Ecke Fuggerstraße von der Polizei erschossen. Dies geschah während einer Personenkontrolle, die gemeinsam von Polizei und Verfassungsschützern durchgeführt worden ist, als von Rauch mit erhobenen Händen an einer Hauswand gestanden hatte und nach Waffen durchsucht worden war. Dennoch behauptete die Polizei, daß der Schuß durchs Auge, der von einem Beamten in Zivil aus nächster Nähe abgefeuert wurde, in »Putativnotwehr« (Abwehrhandlung in der irrtümlichen Annahme, die Voraussetzungen der Notwehr seien gegeben) erfolgte . Einige Wochen später, am 2. März 1972, wurde in Augsburg Thomas Weißbecker auf offener Straße durch einen Schuß in den Rücken (Herzschuß) getötet. Das Ermittlungsverfahren gegen den Polizeischützen, der aus drei Metern Entfernung schoß, wurde von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Augsburg mit der Begründung »Notwehr« eingestellt .

Delikte und Tatverdächtige in Deutschland

Im Jahre 1999 wurden 221.921 »Rauschgiftdelikte« von der Polizei in Deutschland erfaßt, 118.973 Delikte (53,6%) betrafen Cannabis und Zubereitungen (Gras und Hasch), davon waren 66.937 Fälle (56,3% aller Cannabisdelikte oder 30,2% aller »Rauschgiftdelikte«) reine konsumbezogene Delikte (allgemeine Verstöße nach § 29 BtMG), das heißt Besitz von kleineren Mengen zum Eigenverbrauch. Nur etwa jedes fünfte Delikt (20,5%) betraf Heroin.

Von den 1999 erfaßten 185.413 Tatverdächtigen wurden 114.744 Personen (61,9%) wegen Besitz, Handel und/oder Einfuhr von Cannabisprodukten polizeilich registriert. 80.972 der Tatverdächtigen (70,6% aller wegen Cannabisdelikte erfaßten Tatverdächtige oder 43,7% der Taverdächtigten insgesamt) wurden ausschließlich wegen konsumbezogene Delikte mit Cannabisprodukten von der Polizei erfaßt. Davon waren weit mehr als die Hälfte (54,2%) unter 21 Jahre alt (Kinder, Jugendliche und Heranwachsende) .

Der Schwerpunkt der Repression liegt somit in Deutschland nach wie vor eindeutig bei der Verfolgung der Cannabiskonsumenten. Junge Cannabiskonsumenten sind von der polizeilichen Fahndung besonders betroffen. Ein Grund für den Schwerpunkt der polizeilichen Fahndung nach jungen Haschischraucher liegt in der polizeilichen Kriminalstatistik. Wird dort eine jährliche Steigerung der sogenannten »Jugendkriminalität« sowie der »Rauschgiftkriminalität« ausgewiesen, lassen sich von den knappen Etats (Staatshaushaltspläne) leichter Geldmittel für die Aufstockung der Geldmittel für die Polizeibehörden durchsetzen. Drogenrepression hat somit aus polizeilicher Sicht durchaus auch einen merkantilistischen Aspekt.

Repression – eine untaugliche Interventionsstrategie

Repression ist eine Verhinderungspolitik. Sie sollte eigentlich die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen durch Verbot eindämmen. Rückblickend kann jedoch festgestellt werden, das die illegalisierten Drogen trotz stetig steigender Repression nahezu flächendeckend erhältlich sind und von Millionen von Menschen konsumiert werden. Die Repressionspolitik führte jedoch zur gesellschaftlichen Ausgrenzung der Drogenabhängigen mit der Folge einer sozialen Verelendung, zur Steigerung der Kriminalität und zur Spaltung der Gesellschaft. Repression ist somit keine vernünftige Interventionsstrategie (Intervention = Einmischung oder Maßnahme zur Verhinderung von etwas; Strategie = genauer Plan des Vorgehens, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; Interventionsstrategie = gezielte Maßnahme zu Verhinderung von etwas).

Ursprünglich sollten durch die Verbotspolitik die Opiumhöhlen aus den Städten eliminiert werden, heute müssen jedoch die Städte um dem Drogenelend zu begegnen, Fixerstuben einrichten. Das Einrichten von Fixerstuben ist auf alle Fälle eine vernünftige Interventionsstrategie, da sie dem Siechtum vieler Opiatabhängiger entgegenwirken und dem Schutz der betroffenen Drogenkonsumenten dienen.

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